Church and the City

von Unbekannt


Dass die Kirche immer wieder nach neuen Wegen suchen muss, ihre Botschaft zu den Menschen zu bringen, ist schon fast eine Binsenweisheit. In der Theorie ist das klar, in der Praxis bleiben viele kirchliche Ansätze aber hinter diesem Anspruch zurück. Zu stark ist das Verwurzeltsein in einer vermeintlich notwendigen Tradition. Andererseits kann nicht mehr geleugnet werden, dass der Besuch der sonntäglichen Gottesdienste seit Jahren ebenso rückläufig ist wie die Zahl der Erstkommunionkinder und kirchlichen Eheschließungen. Die Gruppe derer, die die Kirche von sich aus aufsuchen wird kleiner. Gerade die gemeindliche Pastoral ist von dieser Entwicklung besonders betroffen. Soziologische Untersuchungen zeigen, dass von 100 Katholiken nur etwa 20 sich im gemeindlichen Kontext bewegen. 80 Prozent der Katholiken meiden den Kontakt zur Gemeinde, obschon viele von Ihnen nicht an einen Kirchenaustritt denken. Neben diesen „Gemeindefernen“ steigt außerdem die Zahl der Menschen, die keiner der beiden etablierten Großkirchen angehören. In vielen Städten sind das mittlerweile über 40 Prozent der Stadtbevölkerung.

Die kirchlichen Reaktionen auf diese Entwicklung sind unterschiedlich. Rückzugstendenzen hinter die sicheren Kirchenmauern, in denen sich der „heilige Rest“ an festlichen Riten und restaurierten Barockgewändern erfreut und die „guten alten Zeiten“ aufleben lässt, sind ebenso zu beobachten wie Forderungen, die Kirche müsse endlich dem Zeitgeist gerecht werden und ihre strikten Moralvorstellungen liberalisieren. Dann würden die Menschen auch wieder zurückkommen. Da genügt dann eine einzelne päpstliche Äußerung zum Kondomgebrauch unter ganz spezifischen Voraussetzungen im Rahmen eines Interviews, dessen lehramtlicher Charakter sicher diskutabel ist, und man erwartet jetzt den ganz großen Aufbruch. Dass hier sicher nicht die Lösung der Schwierigkeiten vieler Mitmenschen mit der Kirche liegen dürfte, zeigt die Entwicklung der evangelischen Kirchen in den letzten Jahren, deren Probleme, die Menschen zu erreichen, trotz mancher scheinbarer liberaler Öffnung nicht verschwunden sind.

Zeit für einen Aufbrauch

Die Kirche ist als das neue Volk Gottes wieder einmal in die Situation geraten, wie weiland das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten in der Wüste zu wandern. Das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen, ist schon in Sichtweite. Aber Gerüchte über dieses neue Land verbreiten Angst im Volk, so dass es in eine Art Schockstarre verfällt. Aber wie schon in der Erzählung des Buches Numeri (Kap. 13 und 14) braucht es heute Kundschafter und Pfadfinder, die neue Wege in suchen und gehen und wie damals überreiche Früchte zum Volk bringen.

Ein Versuch der Kundschafterei ist seit einigen Jahren die sogenannte „Citypastoral“. Dahinter verbirgt sich in der Regel eine in der Innenstadt gelegene kirchliche Stelle in Form eines Cafés oder einer Informationsstelle, mit denen man die Menschen erreichen möchte. Freilich wird hier das alte „Komm“-Prinzip, das in der gemeindlichen Pastoral schon nicht mehr funktioniert, weiter gepflegt. Will man neue Wege gehen, muss man dieses Prinzip umkehren.

Ein solches Umkehrprinzip versucht die Katholische Citykirche Wuppertal zu gehen. Hier wird das Konzept einer „Geh-hin-Kirche“ konsequent umgesetzt. Die Katholische Citykirche Wuppertal hat zwar ein Büro, in dem auch Gespräche stattfinden. Der Hauptort aber ist die Stadt – genauer gesagt: die Straßen und Plätze der Stadt, die Orte an denen sich die Menschen aufhalten, die Cafés und Kinos. Seit 2004 realisiert die Katholische Citykirche Wuppertal die Botschaft der Kirche an diesen Orten.

 

Zu den Menschen gehen …

 

Was am Anfang als extravagante Idee wahrgenommen wurde, hat sich mittlerweile zum Erfolgskonzept entwickelt. Die Katholische Citykirche Wuppertal geht an die Lebensorte der Menschen. Sie macht Kirche in ihrem Alltag berührbar. Leitbild für den pastoralen Ansatz der Katholischen Citykirche Wuppertal war dabei von Anfang an die biblische Erzählung von Paulus auf der Agora in Athen (vgl. Apostelgeschichte 17,16-34). Der dort befindliche „einem unbekannten Gott“ gewidmete Altar gibt Paulus Gelegenheit, sein Evangelium zu verkünden. Viele hören gar nicht zu und gehen vorüber, manche bleiben stehen, einige – von denen zwei sogar namentlich genannt werden – folgen ihm schließlich.

Folgt man dieser Erzählung, so ergibt sich für den missionarisch-citypastoralen Ansatz, dass es vor allem darum geht, Gelegenheiten und Anlässe zu schaffen oder zu suchen, die die Verkündigung der Botschaft Gottes in Wort und Tat ermöglichen. Das sollte wie seinerzeit bei Paulus in der Öffentlichkeit der Stadt um im (intellektuellen) Diskurs mit ihren Bürgern (denn dazu diente ja die Agora) geschehen. Dabei ist damit zu rechnen, dass man auf Ablehnung und Desinteresse stößt. Wo man aber Zuhörer findet, ist man ihnen auch eine echte Antwort schuldig.

… und das nicht nur in Wuppertal

Seit 2004 hat die Katholische Citykirche Wuppertal diesen Ansatz in vielfältigen Formen umgesetzt. Hauptaspekt ist die Arbeit auf den Straßen und Plätzen der Stadt Wuppertal. In regelmäßigen Abständen ist die Katholische Citykirche Wuppertal dort vor Ort. Ein weithin sichtbares Zelt macht die Kirche wahrnehmbar. Ein Flyer, der das aktuelle Programm der Katholischen Citykirche Wuppertal enthält, schafft die Gelegenheit zur Kontaktnahme. An einem durchschnittlichen Tag entstehen so zwischen 300 und 500 Kontakten. Von diesen nutzen zwischen 3% und 5% die gebotene Gelegenheit für ein Gespräch, dessen Inhalt manchmal banal, manchmal aber auch tief theologisch ist.

Über die Präsenz auf den Straßen und Plätzen der Stadt hinaus haben sich im Laufe der Zeit weitere Projekte etabliert. So etwa die mystagogische Kirchenführung, die Fernstehenden den Kirchenraum in seiner kultischen Funktion erschließt, oder die offene Sprechstunde „ansprechBAR“, die monatlich in einem Kaffeehaus stattfindet. Dann sitzt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter in dem Café, vor sich ein kleine Karte, die das „ansprechBAR“-Signet enthält, und ist zum Gespräch bereit. Selten vergeht diese Stunde, ohne dass nicht mindestens ein Gast Platz an dem Tisch genommen hat.

kath 2:30

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Auch die Entwicklungen im Internet – vor allem die Möglichkeiten des Web 2.0 – bieten neue Wege, den Menschen von heute zu erreichen. Wenn Citypastoral vor allem darin besteht, dass die Kirche dorthin geht, wo die Menschen sich befinden, dann muss Citypastoral auch hier präsent sein. Neben Twitter– und Facebook-Account unterhält die Katholische Citykirche Wuppertal daher auch seit einiger Zeit den Weblog www.kath-2-30.de, der auch einen Videopodcast präsentiert. Die Videos stellen mit den ihnen eigenen Mitteln theologische Themen dar und schaffen so einen Zugang ganz eigener Art. Gerade dieses Internetprojekt erfreut sich großer Aufmerksamkeit und weist auch nach einem Jahr noch steigende Zugriffszahlen auf. (Mehr dazu weiter unten.)

Das Ende vom Anfang

Viel wäre an dieser Stelle über die Katholische Citykirche Wuppertal zu berichten. Die Erfahrungen der letzten sechs Jahre zeigen, dass es sich für die Kirche lohnt, Kundschaft in das unbekannte, aber gelobte Land zu schicken. Die Früchte, die es zu ernten gilt, sind tatsächlich groß und reif. Stellvertretend für viele Erfahrungen macht dies vielleicht eine kleine Geschichte deutlich, die sich am 24. März 2010 auf dem Kerstenplatz in Wuppertal zugetragen hat. Meine Kollegin und ich standen am Zelt der Katholischen Citykirche Wuppertal. Darin eine Bibel und eine brennende Kerze. Menschen kamen und gingen, manche blieben zu einem Gespräch stehen. Zwei Jugendliche gingen in das Zelt vor den kleinen Altar. Einer zündete sich an der Kerze seine Zigarette an. Ich rührte ihn von hinten an: „Das kostet ein Vater unser.“ „Das kenn ich nicht.“ Sein Freund antwortet: „Ich aber.“ „Du kennst das Vater unser?“ „Ja klar.“ Ich mischte mich wieder ein: „Dann wisst ihr, was ihr zu tun habt.“ Die beiden gingen. Im Weggehen hörte ich, wie der eine sagte: „Du  kannst das echt?“ „Ja.“ „Mach mal …“ „Vater unser im Himmel …“

Über Unbekannt

2 thoughts on “Church and the City

  1. Danke für diesen Beitrag – für das Verlinken auf die diversen Web2.0-Accounts und für die abschließende Geschichte, die mir ein wiedererkennendes Lächeln aufs Gesichts gezaubert hat! 🙂
    Winterwarme Grüße
    Veronika Kaiser

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