Glaube, Spiritualität und die Katholische Kirche passen gut zum Web 2.0

von Jürgen Pelzer

Es ist gar nicht so lange her, da war man eben einfach katholisch, wie eigentlich alle um einen herum. Am Wochenende stand der Besuch der Heiligen Messe an und unter der Woche war es nichts außergewöhnliches, wenn man in einer kirchlichen Gruppe Engagement gezeigt hat.
Heute ist man vielleicht auch noch Katholik, aber mit Einfachheit hat dies ganz gewiss nichts mehr zu tun. Beim Besuch des Gottesdienstes am Wochenende sind nicht nur viele Kirchenbankplätze leer, sondern es fehlen geschlossen die jüngeren Generationen. Gerade als junger Mensch spürt man darüber hinaus oftmals auch einen Widerstand, wenn man in seinem Umfeld erzählt, dass man sich in der Katholische Kirche engagiert.

Hilfe?! – Die Gesellschaft verändert sich

Doch was bedeutet es, wenn bisher geltende Traditionen in Vergessenheit geraten, die Gemeinschaft der Gläubigen sich nicht mehr wöchentlich im Gottesdienst trifft und das Engagement bei kirchlichen Gruppierungen zunehmend an gesellschaftlicher Akzeptanz verliert?

Es deutet darauf hin, dass die Gesellschaft und damit verbunden auch das katholisch sein sich derzeit stark verändert. Ein wichtiger Faktor hierbei ist das Internet, welches in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung im Leben der Menschen gewonnen hat. Verdeutlicht wird das Phänomen der permanenten Onlineaktivitäten seit geraumer Zeit auch mit dem Begriff „Web 2.0“, der auf die veränderte Nutzung und Wahrnehmung dieses Mediums aufmerksam macht. Es ist ein Begriff, der mittlerweile mehr als nur eine Definition ist. Spaßeshalber könnte man sogar behaupten, dass das Web 2.0 mittlerweile zum Grundkonzept der Menschheit gehört und kein Weg daran vorbeiführt, denn ohne ist man eben vielmals außen vor.

Schon heute zeigt sich, dass die Katholiken diesem Medium bisher nur wenig Bedeutung geschenkt haben und somit oftmals nicht mehr überall präsent sind. Das Szenario indem die Kirche noch der große Antriebsmotor der Gesellschaft war, ist vorbei und es scheint eine Zeit angebrochen zu sein in der sich die Kirche neu orientiert. Parallel dazu wird sich auch die Theologie verändern und die Rolle des Web 2.0 wird dabei sehr wesentlich sein, denn der Großteil der Kommunikation wird heute und morgen über dieses Medium abgewickelt.

140 Zeichen sind ausreichend

Für die Zukunft heißt dieses, dass auch die Theologie – die Lehre von Gott – von diesem Medium beeinflusst wird. In wenigen Jahren wird somit das Format der gedruckten Bibel nur noch eine Antiquität sein, wobei diese sicherlich nicht einfach durch eine digitale Kopie ersetzt wird. Die digitale Form gibt es schon länger, aber im Internet haben meist nur kurze Inhalte Erfolg. So wird es in der Zukunft mehr Projekte in der Art geben, wie die Evangelischen Kollegen es mit der Bibel in Twitter vorgemacht haben. 140 Zeichen waren je Bibelstelle erlaubt und das Interessante dabei ist, dass sich viele Internetuser daran beteiligt haben die Bibelstellen in kurze Aussagen umzuwandeln. Durch solche Aktionen entsteht dann nicht nur eine neue Sprache, sondern auch die Möglichkeiten sich für seinen Glauben gezielt einzusetzen und diesen sichtbar mit einem persönlichen Akzent zu zeigen.

In diesem Zusammenhang wird in der Zukunft auch viel stärker die bestehende Theologie hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt werden. Das Internet verbindet und ermöglicht es jedem unabhängig von Zeit und Ort Diskussionen zu führen und die eigene Meinung zu verbreiten. Bei der Auslegung von Bibelstellen könnte es dann durchaus schon einmal vorkommen, dass die Mehrheit der Internetuser entscheidet und dabei kein Theologe oder sogar Repräsentant der Kirche mit seinem Fachwissen zu Wort gekommen ist. Doch diese Situationen werden erst einmal nicht so häufig vorkommen, denn das Thema Katholischer Glaube spielt im Internet verhältnismäßig eigentlich keine Rolle. Wenn es Themen gibt, die in Verbindung mit diesem Bereich stehen, dann sind es eher ethische Fragen oder Fragen zum Thema soziale Gerechtigkeit oder die des eigenen Glaubens ohne Abhängigkeit zu einer Konfession.

Ich-Spiritualität kontra Gemeinschaft?

Dies spiegelt sicher auch die zu erwartende Spiritualität wieder, denn jemand, der sich nur mit dem eigenen Glauben beschäftigt, der ist nicht direkt auf der Suche nach einer Gemeinschaft, in der er sich aktiv einbringen kann. Es findet somit eine Trennung von Gemeinschaft und Glaube statt. Um zu glauben ist somit keine Institution, kein Gemeindehaus oder Kirchengebäude und kein Gottesdienst oder gemeinschaftliches Gebet mehr nötig, sondern das eigene Lebenskonzept wird zum Zentrum des Seins.

Dies ist im Übrigen auch vergleichbar mit dem Web 2.0 als mitmach-Internet, bei dem der User im Grunde nur ein Ziel verfolgt: Seine Schönheit zu zeigen oder anders ausgedrückt, die total perfekte Selbstinszenierung  und Darstellung der eigenen Person. Darüber hinaus drückt dieses Verhalten oftmals durch diese „ich-Zentralisierung“ aus, dass der Mensch auf der Suche zu sich selbst ist. Auf der Suche zu sein ist dabei etwas sehr typisches für das Christentum und steht häufig in Verbindung mit dem Pilgern.

Mit Pilgerstab von Community zu Community

Pilgern heißt, sich in die Fremde zu begeben und damit war bisher vor allem die Ortsfremde gemeint, die zum Beispiel in den letzten Jahren viele Menschen auf dem Jakobsweg vorgefunden haben. Darüber hinaus ist es auch eine Überlegung wert, ob Pilgern nur auf einem befestigten Weg stattfinden kann oder es in der Zukunft vielleicht auch bedeutet, dass der Mensch sich auf die Suche nach einer passenden Community oder Gruppe im Internet begibt.

Bei dieser Suche wäre es dann ein wesentliches Merkmal der Gruppe, dass wieder Gemeinschaftinteressen im Vordergrund stehen und die Selbstinszenierung in den Hintergrund tritt. In enger Verbindung zu dieser These steht auch der in diesem Fall wieder entstehende Bezug zum realen Leben, denn gemeinsame Interessen, Ideen und Gedanken wollen dann zusammen umgesetzt und erlebt werden. So werden regelmäßige Treffen stattfinden auch wenn dafür jedes Mal weite Wege in Kauf genommen werden müssen, da die Gruppenmitglieder auf Grund ihrer Interessenslage und nicht bedingt durch einen Ort zusammenkommen.

Großveranstaltungen als Meeting Points

In diesem Sinne ist es gut vorstellbar, dass  Konferenzen, Symposien und andere Veranstaltungen, wie zum Beispiel die Katholikentage, auf regionaler und nationaler Ebene an Bedeutung für die Kirche gewinnen und als reale Treffpunkte für Personen mit gemeinsamen Interessen wahrgenommen werden. Doch die Größe der Veranstaltungen macht es deutlich, die katholische Gemeinschaft wird schrumpfen und damit auch ihre bisherige Vielfalt. Schlimm ist dies nicht, denn weniger Vielfalt schadet nicht unbedingt, sondern stärkt oftmals die Kernbereiche.

So gesehen werden gerade die älteren Generationen um Traditionen, Bräuche und auch noch das ein oder andere Kirchengebäude trauern, aber solange es in den jüngeren Generationen immer noch Personen gibt, welche die wesentlichen Glaubensinhalte weitertragen wird auch die Kirche weiterbestehen. Hier gibt es zum Web 2.0 im Übrigen auch viele Parallelen, denn ein Internetnutzer muss sich zum Beispiel auch entscheiden auf welche Plattformen er sich konzentriert und in welchen er nicht aktiv wird.

Das Internet erfordert generell viele Entscheidungen, die meist auch schnell getroffen werden müssen, um handlungsfähig zu bleiben. Es wird hierbei eine große Dynamik von den Usern vorausgesetzt aus der zwei unterschiedliche Ansätze entstehen, die für die Kirche in den kommenden Jahren von großer Bedeutung sein werden.

Zwei Ansätze der schnellen Dynamik des Internets zu begegnen

Zum einen müssen die Prozesse und Strukturen bei der Katholischen Kirche angepasst und optimiert werden, damit schneller und effektiver auf Trends reagiert werden kann. Darüber hinaus erfordert die allgemeine Schnelllebigkeit in der Gesellschaft aber auch ganz gezielte Gegenpole. Gegenpole, die sehr einfach durch spirituelle Angebote geschaffen werden können und die es den Menschen ermöglichen auszuspannen und auch wieder zur Ruhe zu gelangen.

Doch wohlbemerkt, auch wenn hier von zwei Ansätzen die Rede ist, so sind sie nicht gegensätzlich oder schließen sich gar gegenseitig aus. Auch nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr eine notwendige Herausforderung, wird die Einbindung des Internets in beide Ansätze sein. So steht dem Online-Theologiekurs mit regelmäßigen realen Begleittreffen ebenso wenig entgegen, wie virtuelle Pressekonferenzen zu Fragestellungen aus dem realen Leben.

Der Katholik braucht keine Angst vor dem nächsten Jahrzehnt haben

Das nächste Jahrzehnt wird spannend werden, denn grundsätzliche Fragen zum Leben werden im Mittelpunkt stehen. Angestoßen von dem Prozess der Antwortfindung werden sich dabei Theologie und die Katholische Kirche ebenso weiterentwickeln, wie  auch das Internet. So reden wir in wenigen Jahren sicher nicht mehr vom Web 2.0, sondern von Nachfolgeversionen die virtuelle Aktivitäten mehr mit realen Erlebnissen verknüpfen. In diesem Zusammenhang werden Begriffe entstehen oder neu definiert werden die Theologie, Kirche und Gesellschaft prägen.

Kirche wird anders sein, als  bisher: In Vergessenheit geratene Traditionen werden wieder aufleben und bestehende in den Hintergrund treten. Feste Begriffe, wie „Spiritualität“ und „Gebet“ bestehen dabei weiter, aber werden anders wahrgenommen. Doch eines wird unverändert in der Gesellschaft bestehen bleiben – egal ob bewusst oder unbewusst – und das ist der Glaube an Gott.

(Dieser Artikel wurde im Oktober 2009 auf www.internetseelsorge.de veröffentlicht, ist dort aber derzeit nicht mehr Verfügbar.)

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